Insektenschutz
Volcanoes, National Park, Rwanda. Bei der Erfassung von Libellen und aquatischer Biodiversität.

Insektenschutz global

Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen hat einen Aktionsplan zur Rettung der Insekten aufgestellt.


Es waren düstere Prognosen, die der Weltbiodiversitätsrat in seinem Global Assessment Report 2019 für die Insekten abgegeben hat. Seitdem haben weitere Studien ihren dramatischen Rückgang belegt (z. B. Sánchez-Bayo & Wyckhuys 2019) und Diskussionen über Ursachen sowie Gegenmaßnahmen entfacht. Immerhin herrscht Konsens darüber, dass wir jetzt handeln müssen und ein „weiter so wie bisher“ in der industriellen Landwirtschaft sowie beim Flächen- und Ressourcenverbrauch die Situation verschärft. Fakt ist: Die Habitatzerstörung ist die zentrale Ursache für den Rückgang der Insekten und die Politik muss hier die Weichen stellen, damit etwas passiert.

Ein Konsortium für die Insekten

Mehr als 70 Expert*innen weltweit haben nun einen Aktionsplan für den Insektenschutz erarbeitet (Harvey et al. 2020), der einen globalen Fokus hat. Darin finden sich neben unmittelbaren „no regret“-Maßnahmen auch solche, die erst in einigen Jahren zu Ergebnissen und Handlungsempfehlungen führen werden. Ein Blick in die größte validierte Datenbank der Welt zum Schutz von Tier- und Pflanzenarten – die Rote Liste der IUCN – zeigt, warum solche „midterm actions“ dringend notwendig sind.

Insekten in der Roten Liste unterrepräsentiert

Gegenwärtig (Stand: Mai 2020) dokumentiert die Rote Liste Verbreitung, Gefährdung und nötige Schutzmaßnahmen für 75 409 Tierarten. Davon entfallen jedoch nur 12 Prozent auf die Insekten, die aber 70–75 Prozent aller Tierarten ausmachen. Dieses Ungleichgewicht wird noch weiter verstärkt, da

  • 66 Prozent aller in der Roten Liste aufgeführten Arten in den gemäßigten Zonen vorkommen, während die größte Artenvielfalt der Insekten in den Tropen zu finden ist,
  • der Anteil von „data deficient“-Arten, also solchen mit unzureichender Datenlage, bei Insekten mit 27 Prozent überdurchschnittlich hoch ist (bei anderen Tierarten i. D. 19 Prozent).
Insektenschutz
Den Libellen der Kafa Biosphere Reserve in Äthiopien galt diese Exkursion, ebenso der Ausbildung lokaler Ranger und Mitar­ beiter*innen des Ethiopian Biodiversity Institute. Weitere Informationen.

Datenlage in den Tropen kritisch

Gerade tropische Regionen sind nicht hinreichend untersucht, und so fehlen vielfach Daten, um Verluste von Biodiversität und Biomasse dokumentieren und Handlungsempfehlungen formulieren zu können. Libellen sind die einzige Insektenordnung, die global repräsentativ (Clausnitzer et al. 2009) und fast vollständig entsprechend den Kriterien und Kategorien der Roten Liste evaluiert worden ist. Derzeit sind 4578 Libellenarten aufgeführt, was etwa 73 Prozent der bekannten Arten entspricht, 15 Prozent gelten als gefährdet und 29 Prozent als „data deficient“. Allerdings sind Libellen nicht unbedingt repräsentativ für andere Insekten, da sie sehr mobil sind und zum Beispiel in Europa und Nordamerika von der höheren Wasserqualität profitieren (van Klink et al. 2020). In den Tropen liegen zahlreiche Länder, deren Wirtschaft im Aufbau begriffen ist und die geringere Umweltstandards anlegen. Hier wird der Bestand der Libellen in naher Zukunft wohl zurückgehen – was schwierig zu quantifizieren sein dürfte, da die Datenlage in den meisten Fällen mangelhaft ist (Clausnitzer et al. 2014).

Jetzt gemeinsam und global handeln

Insekten sind für viele Ökosysteme und damit auch für uns Menschen unverzichtbar: Sei es ihr Beitrag zur Vermehrung von Pflanzen oder zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Wir müssen es als globale Herausforderung und Aufgabe betrachten, den Verlust von Biodiversität einzudämmen. Die Corona-Pandemie zeigt uns, dass ein Naturschutz, der sich vorwiegend aus Tourismuseinnahmen finanziert, fragil ist – was gleichermaßen für Schutzkonzepte gilt, die auf Spenden aufbauen. Hier muss die Staatengemeinschaft überlegen, ob der Schutz großer Nationalparks, die letztlich auch dem globalen Klima- und Ressourcenschutz zugutekommen, nicht auch global finanziert werden sollte; die meisten afrikanischen Länder werden ihre Schutzgebiete nicht alleine halten können.

Insektenschutz
Volcanoes National Park, Rwanda. Bei der Erfassung von Libellen und aquatischer Biodiversität mit Mit­ arbeitern des Parks und des Dian Fossey Gorilla Fund International.

Roadmap zum Schutz der Insekten

Sofortmaßnahmen

1. „no regret“-Aktivitäten

– Habitatvielfalt in der Agrarlandschaft erhöhen

– Licht-, Wasser- und Luftverschmutzung reduzieren
– Pestizidnutzung gegen ökologische Schädlingsbekämpfung ersetzen
– Importe ökologisch schädlicher Produkte eindämmen
– Neozooen und Neophythen reduzieren
gefährdete Arten schützen
– Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen ausweiten
Naturverständnis / Citizen Science fördern

2. Prioritäten

Erfassungen zum Schutzstatus verschiedener Insektengruppen durchführen, um Fokusarten und -habitate definieren zu können.

Mittelfristige Maßnahmen

3. Neue Studien
Forschung zum Einfluss menschlichen Handelns und Fokussierung auf Gebiete und Taxa mit unzureichender Datenlage.

4. Existierende Daten
Analyse vorhandenen Datenmaterials in privaten, musealen und institutionellen Sammlungen, v. a. für Regionen mit Wissenslücken.

Langfristige Maßnahmen

5. Kooperationen
Kooperation mit Verbänden und Akteuren, Schutz- und Restaurarierungsmaßnahmen für wichtige Insektenhabitate.

6. Globales Monitoring-Programm
Etablierung einheitlicher und langfristiger Erfassungsprogramme.

Libelle
Platycypha caligata
Libelle
Platycypha auripes
Libelle
Platycypha auripes

5 Fragen zum Roadmap

01 Frau Dr. Clausnitzer, warum brauchen wir dringend einen Aktionsplan für Insekten?

Wir haben einen deutlichen Rückgang von Individuen, also der Anzahl und der Biomasse einzelner Arten zu beklagen. Bei den blütenbesuchenden Insekten, also den „Bestäubern“, sind die Verluste besonders drastisch – was weltweit mit beträchtlichen wirtschaftlichen Verlusten einhergeht.

02 Wie kam es zu dieser Initiative und wer ist beteiligt?

Initiator des „Aktionsplans für den Insektenschutz und Insektenerholung“ ist Professor Jeff Harvey vom Niederländischen Institut für Ökologie und der Vrije Universiteit Amsterdam. Er hat gemeinsam mit mehr als 70 Expert*innen von allen Kontinenten Maßnahnen zum Schutz der Insekten über verschiedene Zeiträume erarbeitet.

03 Wo setzen diese an und worauf führen Sie das Insektensterben zurück? ?

Die Ursachen liegen vor allem in der Zerstörung von Habitaten begründet. Fragmentierung von Lebensräumen, Verschmutzung, invasive Arten, Klimawandel und Intensivlandwirtschaft setzen den Insekten stark zu. Da das Insektensterben offenbar flächenhaft die gesamte Kulturlandschaft oder zumindest große Teile davon betrifft, muss sich in der Landnutzung etwas ändern.

04 Welche sind ihre Forderungen?

Die von uns zusammengestellten Maßnahmen sind in unmittelbare, mittel- und langfristige Handlungen unterteilt. Im ersten Schritt sollten die „no-regret solutions“ umgesetzt werden, da sie der gesamten Insektenwelt zugutekommen. Zentral sind das Aufhalten der fortschreitenden Habitatzerstörung, die Renaturierung degradierter Habitate, die deutliche Reduzierung von Pestiziden und Düngern in der Landwirtschaft und eine drastische Reduzierung der Bodenversiegelung. Mittelfristig stehen neue wissenschaftliche Studien an, um zu klären, welchen Stressfaktoren die Insekten ausgesetzt sind. Zu den längerfristigen Maßnahmen gehört zum Beispiel der Aufbau einer nachhaltigen Finanzierung des Schutzes von Lebensräumen für Insekten. Wir müssen umdenken, wenn es um den Stellenwert von Natur, Wildnis und Artenvielfalt geht – vor allem auch was die Finanzierung zugehöriger Projekte einschließt.

05 Wie lässt sich der Erfolg der Maßnahmen überprüfen?

Wir plädieren für ein globales Monitoring-Programm nach standardisierten Methoden. Damit können wir die Insektenvielfalt weltweit vergleichen, potenzielle Probleme schnell erkennen und handeln. Wir brauchen eine umfassende Bewertung der Populationen nach Insektengruppen, um vorrangige Arten, Gebiete und Probleme definieren zu können.

 

Literatur

Clausnitzer, V. et al. (2014): Focus on African freshwaters: hotspots of dragonfly diversity and conservation concern. – Frontiers in Ecology and the Environment 10(3): 129–134

Clausnitzer, V. et al. (2009): Odonata enter the biodiversity crisis debate: the first global assessment of an insect group. – Biological Conservation 142 (8): 1864 –1869

Dijkstra, K.-D. B., Clausnitzer, V. (2014): The Dragonflies and Damselflies of Eastern Africa: Handbook for all Odonata from Sudan to Zimbabwe. – Studies in Afrotropical Zoology 298: 1–264

Harvey, J. A. et al. (2020): International scientists formulate a roadmap for insect conservation and recovery. – Nature Ecology & Evolution 4: 174–176

Sánchez-Bayo, F. & Wyckhuys, K. A. G. (2019): Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers. – Biological Conservation 232: 8–27

van Klink, R. et al. (2020): Meta-analysis reveals declines in terrestrial but increases in freshwater insect abundances. – Science 368 (6489): 417–420

Die Autorin

Dr. Viola Clausnitzer befasst sich seit über 25 Jahren mit Verbreitung, Ökologie und Schutz der Libellen Afrikas. Schwerpunkte sind neben Datenerhebung die Ausbildung lokaler Wissenschaftler*innen und Naturschützer*innen, Netzwerkbildung und Bereitstellung von Informationen. Sie arbeitet in verschiedenen Gremien der IUCN.

Kontakt: Dr. Viola Clausnitzer, Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, Sektion Pterygota, Am Museum 1, D-02826 Görlitz, viola.clausnitzer@senckenberg.de